Vorschlag der EU-Kommission zur Überarbeitung des europäischen Saatgutrechts

28.07.2023

Am 5. Juli 2023 veröffentlichte die EU-Kommission nicht nur den Entwurf der Einordnung der neuen Züchtungsmethoden, sondern auch den der Überarbeitung der Saat- und Pflanzgutrichtlinien (Plant Reproductive Material, PRM) – nahezu ohne mediales Beiwerk. Das war auch wenig verwunderlich angesichts der aktuellen Debatte um die neue oder alte Gentechnik. Aber was steht denn drin?

Fakt ist, dass die EU-Kommission aus einer derzeit vorherrschenden Vielzahl an Richtlinien eine einzige Verordnung machen will. Dies ist kein ungewöhnliches Vorhaben, strebt sie doch in vielen Bereichen eine Harmonisierung der Regelungen an. Die vorgelegten 85 Seiten (plus 55 Seiten Anhang) sind sehr technisch und bergen viele Fallstricke – denn hier steckt der Teufel im Detail:

Der Entwurf behält die beiden Grundsäulen des EU-Saatgutrechts – die amtliche Sortenzulassung und die amtliche Saatgutzertifizierung – bei. Diese dienen dem Verbraucher- und Umweltschutz und der Nachhaltigkeit gleichermaßen und wird aus der Branche begrüßt. Die Sortenzulassung trägt dazu bei, dass nur verbesserte Sorten mit einem höheren landeskulturellen Wert einen Marktzugang erhalten. Der bisherige landeskulturelle Wert – eine Sorte besitzt landeskulturellen Wert, wenn sie in der Gesamtheit ihrer wertbestimmenden Eigenschaften gegenüber den zugelassenen vergleichbaren Sorten eine deutliche Verbesserung für den Pflanzenbau, für die Verwertung des Ernteguts oder die Verwertung aus dem Erntegut gewonnener Erzeugnisse erwarten lässt – wird ergänzt um die Nachhaltigkeit (Sustainability). Die wertbestimmenden Eigenschaften einer Sorte ergeben sich aus den im Anbau und im Labor geprüften Anbau-, Resistenz-, Ertrags-, Qualitäts- und Verwendungseigenschaften (Wertprüfung). So werden auch im Entwurf Kriterien wie Ertrag und Ertragsstabilität in den Vordergrund neben den Resistenzen etc. gerückt.

Die amtliche Saatgutzertifizierung wird als grundlegendes Instrument für die Gewährleistung der Sortenidentität, der Saatgutqualität und der Nachverfolgbarkeit gesehen. Jede Saatgutpartie wird auch im mehrstufigen System der Saatgutzertifizierung vor der Aussaat geprüft. Der bisherige Qualitätsgedanke wird damit weitergeführt und sogar gestärkt.

Ebenso soll in Zukunft eine nationale Sortenprüfung und -registrierung erfolgen. Das Saatgutrecht soll darüber hinaus – wie bisher – nur die professionellen Aktivitäten in der Saatgutproduktion und -vermarktung umfassen. Die Förderung biotechnologischer und digitaler Entwicklungen – wenngleich das ein sehr weiter Begriff ist – im Bereich der Sortenzulassung und Saatgutzertifizierung werden begrüßt.

Neben diesen grundsätzlich doch eher positiven Punkten, gibt es einige Vorschläge, die intensiver zu diskutieren sind.

Beginnen wir mit der Tatsache, dass der Vorschlag die Einbeziehung des Saatgutrechts in die Kontroll-Verordnung ((EU)2017/625, OCR) vorsieht. Das war auch schon in der ersten Diskussion vor ca.
10 Jahren die Idee der EU-Kommission. Damals wie heute erachten wir es als nicht zielführend. Das Saatgutrecht – im Gegensatz zu anderen Rechtsbereichen, auf die die Kontroll-Verordnung Anwendung findet – verfügt mit der amtlichen Saatgutzertifizierung bereits über ein bewährtes mehrstufiges Kontrollsystem, zusätzliche Kontrollmechanismen bringen keinen Mehrwert für (zertifiziertes) Saatgut. Es erhöht den zeitlichen und personellen Aufwand immens, vor allem in der aktuell sehr angespannten Personalsituation. Es führt zwangsläufig zu Kostensteigerung in der Saatgutzertifizierung. Verzögerungen im Zertifizierungsverfahren sind zu befürchten und gefährden damit eine rechtzeitige Bereitstellung des Saatgutes für die Landwirtschaft. Die tatsächlichen zusätzlichen Kontrollmechanismen bzw. Berichtspflichten auf nationaler, europäischer Ebene und auf der Ebene des professionellen Unternehmers stehen zudem noch gar nicht konkret fest, lassen sich allenfalls erahnen.

Ein weiterer Punkt, den es zu erörtern gilt, ist die Vielzahl an delegierten und Durchführungs-Rechtsakten, dies führt zu Unsicherheit sowie Intransparenz des vorgelegten Entwurfs. Dieser stellt nur einen Rechtsrahmen dar. Detailregelungen, die gerade im Saatgutrecht entscheidend sind, werden außerhalb der vorgelegten Verordnung in Form von delegierten Rechtsakten und Durchführungs-Rechtsakten festgelegt. Dabei besteht die Befürchtung, dass der Einfluss der Mitgliedsstaaten auf die Saatgutgesetzgebung schwindet. Aber auch an dieser Stelle nochmal die Anmerkung – eine abschließende Beurteilung des Entwurfs ist aktuell nur schwer möglich. Im Übrigen war die Kritik an den nachfolgenden Rechtsakten im Jahr 2013 ein wesentlicher Bestandteil der Ablehnung eines ersten PRM-Entwurfs durch das Europäische Parlament. Grundlegende Dinge sind in der Verordnung zu klären.

Kommen wir zu einem nächsten Punkte, der beim Studium des Entwurfs deutlich wird. Dies sind die Ausnahmen von den allgemeinen Regeln des Saatgutrechts, diese wurden deutlich ausgedehnt. Wir erinnern uns an Begriffe wie heterogenes Material und Erhaltungssorten. Diese und noch weitere finden im Vorschlag Berücksichtigung. Damit möchte die EU-Kommission auch den Forderungen nach mehr Biodiversität und freiem Zugang entsprechen. Schaut man sich die Ausnahmen aber im Detail an, bergen sie Missbrauchspotential. Der Aufbau von Parallelmärkten ist zu befürchten, eine amtliche Überwachung der stringenten phytosanitären Anforderungen (bspw. im Kartoffelbereich) ist nicht vorgesehen. Die Ausnahmeregelungen für „Endnutzer“ und „Saatguttausch zwischen Landwirten“ stoßen dabei insbesondere auf Kritik. Bei diesen Ausnahmen sind registrierte Sorten und im Fall der „Endnutzer“ auch sortenschutzrechtlich geschützte Sorten nicht explizit ausgenommen. Zumindest die phytosanitären Anforderungen müssten zum Schutz des Saatguts aufnehmenden Landwirts überwacht und Mengenbegrenzungen für solches Material festgesetzt werden.

Werfen wir noch einen Blick auf die Zeit: der Vorschlag für ein neues EU-Saatgutrecht kommt zu einer denkbar ungünstigen Zeit für die gesamte Saatgutbranche. Alle Akteure im Saatgutbereich, sowohl auf Behördenseite als auch in der Saatgutwirtschaft, befinden sich derzeit mit der Saatguternte, -aufbereitung und -anerkennung in der arbeitsreichsten Zeit des Jahres.

Die acht Wochen für die Teilnahme an der Onlinekonsultation sind schlichtweg zu wenig. Interpretationen der Vorgehensweise werden wir hier nicht anstellen.

Die Geschäftsstelle ist mit anderen Verbänden der Saatgutbranche im Gespräch, ebenso wird es eine Diskussion mit dem zuständigen Bundeslandwirtschaftsministerium und dem Bundessortenamt geben. Wir werden Sie entsprechend auf dem Laufenden halten.

Weiterführende Links finden Sie hier:
Future of EU rules on plant and forest reproductive material (europa.eu)

Pflanzliches und forstliches Vermehrungsgut (überarbeitete Vorschriften) (europa.eu)